Oliver KönigBlogSinn in Organisationen

Sinn in Organisationen

Purpos Driven Organizations. Sinn – Selbstorganisation – Agilität (eine Buchrezension)

Das Thema Selbstorganisation und New Work beschäftigt mich schon eine Weile. Deshalb wurde ich neugierig, als ich das Buch „Purpose Driven Organizations“ aus dem Kreise der Neuwaldegger entdeckte. Gerne möchte ich hier meine Rezension mit Euch teilen:


Wer steckt hinter dem Werk?

Franziska Fink und Michael Moellersind die Autoren des Buchs. Beide sind systemische Organisationsberater in der Beratergruppe Neuwaldegg. Für Sie selbst ist der grundlegende Sinn ihrer Tätigkeit „Inspiring Organizations“. Mit diesem Motto hat die Beratergruppe selbst den Schritt in eine agile Organisationsform gewagt. Sie berichten immer wieder darüber, wie Holacracy die Organisationsstruktur und das gemeinsame Arbeiten verändert. Diese Form der Selbstorganisation ist somit auch sehr präsent im Buch.

Worum geht´s?

Der Umgang mit Sinn und Sinnfindung in Organisationen stehen im Vordergrund. Dabei werden die Begriffe „Sinn“ und „Purpose“ oft gleichbedeutend verwendet.

Zwei Bedeutungen der Begriffe aus dem Buch:
• „Emotionale Dimension: Sinn ist eine Art natürliches Bedürfnis des Menschen. Was als sinnvoll erlebt wird, erzeugt in uns eine innere Kraft und versorgt uns mit Energie fürs Handeln. Ohne das Gefühl von Sinn fehlt uns nicht nur der Grund, etwas zu tun, zu glauben oder zu verändern, es fehlt auch ein wesentlicher Beitrag zu Wohlbefinden und einem gelingenden Leben.
• Sachlich-inhaltliche Dimension: Sinn bietet Orientierung. Es ist ein Bezugspunkt für die Ausrichtung in grundlegenden Fragen. In turbulenten Zeiten und komplexen Situationen steigt der Bedarf, den Sinn und Zweck des eigenen Tuns zu schärfen und als Navigationshilfen zu nutzen.“ (S. 24)

Sinn sorgt also für intrinsische Motivation und Komplexitätsreduzierung. Laut der Studien im Buch leisten „Purpose Driven Organizations“ mehr, sind also erfolgreicher – auch oder gerade wegen der größeren Leistung, die motivierte Mitarbeiter bringen. Diesen Zusammenhang kennt man schon aus der transformationalen Führungsforschung. Ergänzt wird diese Erkenntnis durch die Frage nach dem Beitrag, den eine Organisation in der Gesellschaft stiftet, z.B. in Verbindung mit den Konzepten der Gemeinwohl-Bewegung. Außerdem wird eine grundlegende Theorie zu Organisationen vorgestellt (im Folgenden extrem verkürzt dargestellt): Organisationen bestehen aus Entscheidungsprogrammen, Kommunikationswegen, Personal und einer Kultur – in Abgrenzung zur Umwelt. Anhand dieser Dimensionen erarbeiten die Autoren fünf Disziplinen, die sie für die Entwicklung von „Purpose Driven Organizations“ für wichtig erachten:

  1. Entscheidungenprogramme —> Dominanter Purpose
  2. Kommunikationswege —> Kodifizierte Selbstorganisation
  3. Personal —> Ganzheitliche Partnerschaft
  4. Kultur —> Superflexible Vertrauenskultur
  5. Umwelt —> Co-Evolution im Ökosystem

Diese fünf Dimensionen (Grafik zum Modell hier) werden in den weiteren Kapiteln ausführlich beschrieben und Organisationen charakterisiert, die innerhalb einer Dimension besonders herausragen. Am Ende des Buchs findet man eine Toolbox, die sich auf die fünf Dimensionen bezieht und Methoden zur Umsetzung liefert.

Hier die Kapitel des Buchs:

  1. Welt, Sinn und Organisation
    a. Die Herausforderung
    b. Der Sinn von Sinnorientierung und Purpose
    c. Organisationen bestehen aus Entscheidungen
    d. Teal und die Realität der Evolution
  2. Der Ansatz – 5 Disziplinien
    a. Die 5 Disziplinen der Purpose Driven Organizations
    b. Erste Disziplin: Dominanter Purpose
    c. Zweite Disziplin: Kodifizierte Selbstorganisation
    d. Dritte Disziplin: Ganzheitliche Partnerschaft
    e. Vierte Disziplin: Superflexible Vertrauenskultur
    f. Fünfte Disziplin: Co-Evolution im Ökosystem
  3. Purpose Driven Organizations – Inspirierende Beispiele zu den 5 Disziplinen
    a. DM
    b. Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
    c. Purpose Stiftung
    d. Bosch Power Tools
    e. soulbottels
    f. Traum-Ferienwohnungen
    g. Upstalsboom
    h. Empaua
    i. Gutmann Aluminium Draht
    j. Ökofrost
    k. Märkisches Landbrot
    l. Premium
  4. Tools und Methoden – Werkzeugkasten für Purpose Driven Organizations anhand der 5 Disziplinen

Wie liest sich das Buch?

Für mich hat dieses Buch zwei Teile, die sich deutlich unterscheiden. Die Theorie wird in der ersten Hälfte verdeutlicht, die zweite Hälfte liefert die Praxisbeispiele und Methoden. Gerade die ersten beiden Kapitel sind stark angelehnt an die Theoriebasis von Luhmann und Kühl. Das ist gut und macht die erste Hälfte zu einem fundierten Grundlagenwerk, das sich nicht im luftleeren Raum bewegt, sondern einen klaren Theoriebezug herstellt. Gleichzeitig ist das Verstehen und Verarbeiten der Theorie nicht ohne. Auch mit Leseerfahrung von Luhmann-Büchern, fiel es mir immer wieder schwer den theoretischen Ausführungen zu folgen. Ich musste neu ansetzen, weil ich den Übergang von der Luhmann- und Kühl-Theorie zur Praxis nicht immer ganz nachvollziehen konnte.

Kapitel drei und vier lesen sich wesentlich praxisorientierter und leichter. Auch haben die Autoren es geschafft mit dem Modell der 5 Disziplinen ein umfassendes Modell zum sinnorientierten Arbeiten zu erstellen. Es deckt aus meiner Sicht gut ab, an welchen Stellen man ansetzen kann und welche Methoden dafür zur Verfügung stehen. Die Sammlung, die sie erstellt haben, ist eine fundierte und ausgereifte Werkzeugkiste, aus der ich mich in Zukunft immer wieder bedienen werde. Viele der Methoden stammen aus der Holacracy-Schmiede. Vielleicht auch weil die Beratergruppe selbst von dieser Methode „infiziert“ ist, tauchen im Buch vermehrt Methoden daraus auf. Manche sind für meine Arbeit zu stark Holocracy-lastig. In meiner Arbeit werden diese Methoden wahrscheinlich modifiziert und mit anderen Begriffen benannt, verwendet werden. Für Holacracy-Fans ist es ein reicher Fundus zum direkten Einsatz.

Mein Fazit: Bezogen auf den wissenschaftlichen Fokus und die Sammlung der Beispiele und Methoden haben Fink und Moeller sehr gute Arbeit geleistet. Gleichzeitig ist mit der Art und Weise der Vermittlung – nämlich ein wissenschaftlich fundiertes Buch zu schreiben – der „Spirit“ des sinnorientierten Arbeitens nicht sichtbar. In meiner Vorstellung ist sinnhaftes Arbeiten auch mit mehr Freude, Leichtigkeit und spielerischen Elementen verbunden. Dies wird durch den großen Anteil der Theorie und Herleitung nicht deutlich. Die Form des wissenschaftlichen Duktus, passt deshalb für mich persönlich nicht zum transportieren Inhalt. Falls die Autoren versucht haben, mich als Leser für sinnorientiertes Arbeiten in Organisationen zu begeistern, haben sie dies leider nicht geschafft. Oder auch nur, weil ich für diese Art von Theorie und den Beraterblick auf Organisationen offen bin. Falls die Autoren vor hatten, das Thema Sinnorientierung wissenschaftlich zu besetzen und fundiert zu beschreiben, haben sie dieses Ziel erreicht.

Weiter gedacht:

Aus meiner Sicht sind die Inhalte des Buches fundiert dargestellt und inhaltlich richtig. Allerdings ist mir der Inhalt zu normativ dargestellt – so, als würden alle „normalen“ Organisationen nicht sinnorientiert handeln, die das Thema “Sinn” nicht in den Mittelpunkt ihres Dialogs stellen.

Dabei frage ich mich: Welcher Unternehmer ist ohne Sinn unterwegs? Ich erlebe in meiner Beratungspraxis viele Unternehmer/Inhaber, die in mittelständischen Unternehmen auf sehr unterschiedliche Art und Weise Sinn stiften. Die einen mehr über Macht qua Amt und ihre Hoheitsfunktion, die anderen mehr über kreative und schöpferische Macht, in der Sinn eine große Rolle spielt. Dabei kommen unterschiedliche Ausprägungen von Selbstorganisation zum Tragen und es kommt stark auf den Charakter und die Werte-Orientierung des Unternehmers an, ob die Thematisierung von Sinn und Selbstorganisation einen Zweck für sein Unternehmen erfüllt. Ich behaupte, dass es erfolgreiche Organisationen gibt, die noch nie einen grundsätzlichen Dialog über Sinn an sich geführt haben, sondern immer das Geschäftsmodell und die Geschäftsprozesse im Vordergrund stehen.

Deshalb vermisse ich in diesem Buch auch den Blick der Organisationsentwicklung mit der Beantwortung folgender Fragen:
• In welchem Kontext und welcher Situation ist die Ausrichtung zu mehr Sinnorientierung und Selbstorganisation sinnvoll? Und wann nicht?
• Wie kann eine Prozessbegleitung hin zu mehr Selbstorganisation aussehen?
• Wie kann in so einem Prozess die Balance zwischen Alt und Neu gelingen?

Diese Fragen sind gerade bei einem Schritt in Richtung mehr Selbstorganisation nicht trivial, weil so ein Prozess alle bisher gewohnten Selbstverständlichkeiten in Frage stellt. Eine Ergänzung um so ein Kapitel würde das Buch für mich rund machen.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar von Buch Contact zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür!

veröffentlicht am 11. March 2019 von

Oliver König

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